8. Intersex-Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken: 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
By Zwischengeschlecht.org on Friday, September 10 2010, 21:36 - Permalink
>>> Aktion & Offener Brief "11th EMBL/EMBO - From Gene to Gender", 06.11.2010
Zwitter als Opfer der Moderne – und der (Geschlechter-)Wissenschaft
Vom Mittelalter bis in die Neuzeit waren "Hermaphroditen" nicht nur juristisch anerkannt, sondern genossen zusätzlich das Privileg, als einzige Menschen per "Geschlechtseid" selber darüber bestimmen zu können, in welchem Geschlecht (d.h. Mann oder Frau) sie als Erwachsene leben wollen. Noch u.a. im Preussischen Landrecht war ein entsprechender "Zwitterparagraph" enthalten.
Erst im Bürgerlichen Gesetzbuch gab es nur noch Männer und Frauen – und in strittigen Fällen entschieden laut Gesetz nicht mehr die Betroffenen, sondern Wissenschaft und Medizin.
Seit dem 19. Jahrhundert wurden "Hermaphroditen" zunehmend zu Forschungszwecken ungefragt experimentellen kosmetischen Genitaloperationen, Kastrationen, Transplantationversuchen Hormone produzierender Organe (Hoden, Ovarien, Mischgonaden) und weiteren medizinisch nicht notwendigen Menschenexperimenten unterworfen. Und hinwegerklärt: Als "Scheinzwitter" und "Pseudohermaphroditen" wurden die große Mehrzahl "wissenschaftlich" als betrügerische, "korrekturbedürftige" Männer oder Frauen "entlarvt" – und nach Abschluss der Pubertät zunehmend diesem "Befund" so "gut" wie möglich chirurgisch usw. "angepasst".
Magnus Hirschfeld, Zwitterverstümmler "für einen guten Zweck"
Darstellung nach Rosa von Praunheim: "Der Einstein des Sex" >>> Quelle
In der ersten Hälfte ders 20. Jahrhunderts "erforschten" in Europa und Nordamerika zahlreiche Chirurgen, Endokrinologen, Genetiker, Biologen, Psychiater und Sexologen die Grundlagen zur serienmäßigen chirurgischen "Korrektur" und der willkürlichen Steuerung der Pubertät durch synthetische Hormone, oft in Verbindung mit vorheriger Kastration.
>>> Chirurgische "Genitalkorrekturen" an Kindern: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> Intersex-Genitalverstümmelungen – eine Genealogie der TäterInnen
>>> Unethische ForscherInnen als Zulieferer der GenitalabschneiderInnen
>>> "STOP Genitalverstümmelung als 'Rohmaterial' für die Geschlechterforschung!"
1950: Beginn der systematischen chirurgischen Auslöschung
Seit Beginn der experimentellen "Behandlungen" von Zwittern klagten die Forscher stets über die Unwilligkeit ihrer Versuchskaninchen: Erwachsene Zwitter entzogen sich regelmäßig dem Zugriff der Medizyner, indem sie einfach nicht mehr zur nächsten Konsultation erschienen, sobald sie erfuhren, was letztere mit ihnen vorhatten (desgleichen oft bei älteren Kindern deren Eltern).
1950 fand der berühmte Endokrinologe Lawson Wilkins am "Johns Hopkins Universitätsspital" in Baltimore (USA) eine "elegante Lösung" für dieses oft beklagte "Problem": Er liess durch seine Mitarbeiter "Intersexuelle" (wie der neue medizinische Fachbegriff nun lautete) systematisch schon möglichst früh als Kleinkinder den chirurgischen und hormonellen "Genitalkorrekturen" unterwerfen. Ausgehend vom "Johns Hopkins Universitätsspital" verbreitete sich diese verhängnisvolle Praxis ab 1950 in Zusammenarbeit u.a. mit dem Kinderspital Zürich (Andrea von Prader) und der Universitätsklinik Hamburg (Jürgen Bierich, später Kinderklinik Tübingen) über die ganze "zivilisierte Welt".
>>> Wer sind die Täter? Was soll mit ihnen geschehen?
>>> "Die Amputation der Clitoris ist sicher gerechtfertigt" - Kinderspital Zürich 1957
>>> Medizinische Versuche an Menschen (Schattenbericht 2008)
John Money als Sündenbock
Diese heute in der Öffentlichkeit zunehmend unter Beschuss geratene Praxis der systematischen Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken wird heute von den Medizynern oft mit dem Namen des verstorbenen Psychiaters und Sexologen John Money (1921-2006) in Verbindung gebracht und es wird versucht, ihn als Sündenbock zum Alleinschuldigen zu erklären.
In Tat und Wahrheit waren systematische "chirurgische Genitalkorrekturen" an Kleinkindern nicht nur im "Johns Hopkins Universitätsspital" in Baltimore bereits seit 5 Jahren gängige Praxis (siehe oben), als Money ebendort 1955 mit seiner "Optimal Gender Policy" den theoretischen Überbau nachlieferte (und gleichzeitig den "wissenschaftlichen" Begriff "Gender" prägte).
Moneys "empirischer Beweis" für seine Theorie, ein angeblich positiv verlaufenes "Zwilligsexperiment", hatte in Tat und Wahrheit tragisch geendet. In den 1990er Jahren wurden Moneys entsprechende, zeitlebens nie widerrufene Publikationen öffentlich als Fälschung und John Money als Lügner entlarvt – ohne jegliche Konsequenzen weder für den Scharlatan John Money, oder auf die Praxis der systematischen Genitalverstümmelungen in den westlichen Kinderkliniken, oder auf die "wissenschaftliche Geschlechterforschung" in ihren verschiedenen Ausprägungen.
>>> John Money & Co. – der Mythos vom Einzeltäter
>>> Das Medizynermärchen von den "früheren Behandlungsmaßstäben"
>>> "STOP Genitalverstümmelung als 'Rohmaterial' für die Geschlechterforschung!"
Bis heute: Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
Obwohl seit über 60 Jahren serienmässig und systematisch durchgeführt und bis heute als Quasi-Standard angepriesen und vermarktet, wurde die angebliche "Wirksamkeit" der medizinisch nicht notwendigen Zwangsbehandlungen wohlweislich nie klinisch geprüft, oder nur schon entsprechende Langzeitstudien darüber geführt. Heute noch stehen die einschlägigen AWMF-Verstümmler-Leitlinien entsprechend auf der niedrigsten Evidenzstufe S1. Trotzdem werden nach Angaben der ZwnagsbehandlerInnen selbst heute noch 90% aller Kinder und Jugendlichen genitalverstümmelt:
>>> Präsentation BMBF-Studie mit 434 Proband_innen (2009)
Letztlich sind die menschenrechtswidrigen Zwangsbehandlungen an Zwittern ein gesamtmedizinisches Problem, an dem viele medizinische (Teil-)Disziplinen von Anfang an beteiligt waren und sind. Zusätzlich hatte und hat das Projekt der medizinische Auslöschung der Zwitter als Spezies seit Beginn auch eine eugenische Dimension und es waren namhafte Vertreter der NS-Medizin an seiner Perfektionierung entscheidend mitbeteiligt. Noch im 21. Jahrhundert werden medizinische Verbrechen an Zwitterkindern von TäterInnen damit begründet, man wolle "keine Mutanten züchten".
>>> Völkische Diagnose "Intersexuelle Konstitution" (1920er-1950er)
>>> Hans Naujoks (1934): "minderwertig" und "eugenisch nicht erwünscht"
>>> Baur-Fischer-Lenz (1936): "degeneriert durch Rassenvermischung"
Bezeichnenderweise ist eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte der medizinischen Verbrechen an Zwittern aus einer menschenrechtlichen und ethischen Perspektive nach wie vor ausstehend. Und werden die täglichen systematischen Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken ungebrochen weiter verübt – allen anderslautenden Lippenbekenntnisse der Täter und ihrer Helfershelfer zum Trotz. Regelmäßig missachten die Genitalabschneider und ihre Berufsverbände dabei elementare Ethikprinzipen und Menschenrechte der Betroffenen aufs Krasseste – und nicht zuletzt auch ihre eigenen Ethikvorschriften. Wie lange noch?!
>>> "Unrecht der Medizinversuche anerkennen" (Oliver Tolmein 2009)
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie
>>> "Weder Evidenz noch medizinische Indikation" (Dr. med. Jörg Woweries)
>>> Ethikempfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure